Interaktives Atmen

Das interaktive Atmen ist eine Methode im Rahmen der integrativen Atemarbeit. Interaktion findet in jeder geleiteten Atemsitzung statt. Allerdings ist der verbale Austausch im Regelfall sehr eingeschränkt. Bei der Form der interaktiven Atemsitzung wird dem verbalen Austausch mehr Raum gegeben.

Methode: Der Klient wird auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, dass er während des Atmens angesprochen wird und dass er, nach seiner inneren Gestimmtheit, darauf reagieren kann oder nicht. Zunächst wird eine vertiefte Atmung angeleitet und eventuell mit Musik unterstützt. Nach zehn bis zwanzig Minuten, wenn der Eindruck besteht, dass der Energiefluss der Atmung hergestellt ist und der Klient mit seiner Aufmerksamkeit nach innen geht, kann der Therapeut behutsam beginnen, Fragen an den Klienten zu stellen, die seine Empfindungen und Gefühle betreffen. Es ist wichtig, dem Klienten viel Zeit zu lassen, damit er nicht abrupt seine Atmung unterbricht, sondern dass er aus dem Atemfluss heraus sprechen kann.

Körperlinien und –gestalten:

Die verbalen Interventionen bieten die Möglichkeit, die Empfindungsqualitäten genauer zu erforschen, zu verfeinern und zu erweitern. Der Klient wird beispielsweise gefragt, was er im Moment spürt, wie diese Empfindung spürbar ist und was sich verändert, wenn er genauer hinspürt. Daraus kann sich eine innere Körperreise entwickeln, die an Fäden oder Linien entlang geht und schließlich Gestalten bildet, die einen speziellen Sinn ergeben.

Bilder:

Es ist auch möglich, mit dieser Methode die innere Bilderwelt zu erschließen und therapeutisch nutzbar zu machen. Der Klient wird gefragt, ob er Bilder oder Vorstellungen sieht, die, wenn sie vorhanden sind, dann weiter erforscht und in ihrer Entwicklung verfogt werden. Die Methode führt an Formen der visuellen Arbeit wie das Katathyme Bilderleben heran, unterscheidet sich aber dadurch, dass der Kontakt mit dem Atem immer beibehalten werden soll. Zwei Ebenen kommen bei der Arbeit mit Bildern ins Spiel: Die Erinnerung – es können Bilder aus früheren Lebensphasen aufsteigen, oder die Phantasie – es werden Bilder analog der Traumproduktion geschaffen. Diesen Bildern wird eine spezifische Relevanz für das im Hier und Jetzt wichtige Erleben gegeben, und diese Bedeutung wird mit Hilfe der behutsamen Fragetechnik des Therapeuten gemeinsam ans Licht gebracht.

Grundtendenz der Interventionen sollte sein, soviel verbalen Kontakt zu halten, als möglich, ohne den Atemfluss zu stören. Der Atmende verbindet die kognitiven und emotionalen Ebenen, er überlässt sich nicht vollständig dem körperlichen Prozess, sondern behält eine teilweise Kontrolle.

Die Kunst des Begleitens liegt darin, im richtigen Moment die Ebenen zu wechseln, den untergründigen Fluss nicht zu unterbrechen und doch an die Oberfläche zu heben, was leicht aufsteigen will. Es gilt, die stimmige Balance zu halten, die ein leichtes Schwingen zwischen oben und unten, zwischen den Worten und den körperlichen Wellen des Atems ermöglicht. Dann entsteht das für eine Weile, was Daniel Stern die Zusammenführung von explizitem und implizitem Wissen, von bewusstem und symbolisierbarem sprachlichem und unbewusstem prozesshaftem Wissen nennt (Stern 1998, 82f)

Das hat folgende Vorteile:

Für den Klienten:

Das Sich-Verlieren in Gefühlen, Bildern oder visionären „Scheinwelten“ wird verhindert.

Tendenzen zum Unbewusst oder Schläfrig-Werden werden gehemmt.

Ängsten vor Kontrollverlust durch das Atmen wird entgegen gewirkt.

Die Fähigkeit, Empfindungen und Gefühle zu benennen, wird gestärkt und damit der innere Umgang mit Gefühlen und Stimmungen verbessert.

Wenn das Atmen als Vermeidungsstrategie vom Unbewussten eingesetzt wird, kann durch die Einführung der verbalen Ebene mehr Klarheit geschaffen werden.

Material, das beim Atmen aus Tiefenschichten aufsteigt, kann besser bearbeitet und weiter verfolgt werden, damit ist auch eine Vertiefung und Integration im Moment möglich.

Ein punktgenaues Arbeiten wird erleichert, auch das Arbeiten an Körpersymptomen.

Das Verbinden der Arbeit mit Bildern (visuelle Techniken) wird erleichtert.

Für den Begleiter:

Mehr Sicherheit, mehr Einflussnahme auf den Prozess, mehr Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Möglichkeiten zur Nachbearbeitung, bessere Abstimmung auf den inneren Gefühlsprozess

Nachteile:

Wenn tiefe Gefühlsprozesse ablaufen, führt die verbale Interaktion heraus, verhindert das Tiefergehen in die Wut oder in die Traurigkeit. Bei Katharsis also nicht sinnvoll, weil ältere Gehirnteile aktiviert sind, die unter der verbalen Kontrolle nichts frei setzen können.

Wenn die verbale Ebene zum Ausweichen verwendet wird, zum Sich-Herausreden, dient dieser Prozess nur dem Schutz vor tieferen Gefühlen.

Wenn es für den Klienten darum geht, Vertrauen in die tieferen Schichten eines unkontrollierten freien Fließens zu gewinnen. Das ist also für jene Klienten nicht der richtige Einstieg, die erst die Kraft des frei fließenden Atems kennenlernen müssen.

Literatur:

Stern D N (1998): Die Lebenserfahrung des Säuglings. Stuttgart Klett-Cotta

Ehrmann W (2004) Handbuch der Atemtherapie. Ahlstedt Param