Der Locus Caeruleus und die Atmung

Der Locus Caeruleus (LC) befindet sich im Mittelhirn und ist ein wichtiger Teil des Systems, das viel mit dem Neurotransmitter Noradrenalin zu tun hat. Diese bläuliche Region verfügt über Funktionen sowohl bei der Aufmerksamkeit wie auch der Atmung. Eine gute Aufmerksamkeitsleistung erfordert eine optimale tonische LC-Aktivität und muss dauernd an die Aufgabe angepasst werden. LC-Neuronen sind chemosensitiv und führen zur Aktivierung des phrenischen Nervs, der das Zwerchfell stimuliert, wenn der CO2- Wert ein bestimmtes Maß übersteigt. Da sich der CO2-Wert mit der Phase der Atmung verändert, sollte auch die tonische Aktivität des LC-Fluktuationen einen Zusammenhang mit der Atemfrequenz aufweisen. Die Modulation der tonischen LC-Aktivität von oben nach unten (top-down) von den Gehirnbereichen, die mit der Regelung der Aufmerksamkeit beschäftigt sind und die eine optimale LC-Aktivität für adäquate Leistungen brauchen, können auch Auswirkungen auf die Atmung wie auch auf LC-Aktivität in Bezug auf die Stimulation des phrenischen Nervs haben.
Die Hypothese dieser wissenschaftlichen Arbeit lautet: Wegen der physiologischen und funktionalen Überlappungen der Atem- und Aufmerksamkeitsfunktion im LC ist dieser kleine neuromodulatorische Kern ideal positioniert, um als Synchronisierungsmechanismus zwischen den Atem- und Aufmerksamkeitssystemen zu wirken. Dadurch entsteht eine Oszillation mit niedriger Amplitude, die eine Flexibilität in der Aufmerksamkeit ermöglicht, die aber auch zu einer unbeabsichtigten Destabilisierung der Aufmerksamkeit führen kann. Übungen mit Meditation und Pranayama führen zu emotionalen und körperlichen Verbesserungen wie auch zu Leistungssteigerungen bei der Aufmerksamkeit. Das kann teilweise auf die Führungsrolle des LC als Konnex in diesem verknüpften System zurückzuführen sein. Die Forschungen wurden mit funktionalen Magnetresonanzuntersuchungen und Pupillenanalyse durchgeführt.
Wird die Atmung gestört, wird der Verstand gestört. Durch die Drosselung der Atmung erhält der Yogi die Beständigkeit des Verstandes. (Hatha Yoga Pradapika, Yogi Svatmaram)
Der Atem dient schon sehr lange als geeignetes Objekt für die Meditation. Diese Wahl ist nicht nur deshalb getroffen worden, weil die Atmung einen subtilen und stets verfügbaren Gegenstand für die Konzentration bietet, sondern auch, weil mit der Atmung Aufmerksamkeits- und Emotionalzustände verändert werden können. Die Atembeobachtung und -regulation kann den Erregungs- und Stresszustand sowie die emotionale Kontrolle verändern, was durch zahlreiche anekdotische Berichte und viele Studien belegt ist.
Der Buddha sagt im Ananda Sutra: „Von der Entwicklung, von der wiederholten Übung der Atem-Achtsamkeitskonzentration kommt weder ein Schwanken noch ein Zittern des Körpers noch ein Schwanken oder Zittern des Geistes.“ Svatmarama schreibt im Hatha Yoga Pradapika (2:2): „Wenn der Atem wandert, ist der Geist unruhig. Aber wenn der Atem ruhig wird, wird auch der Geist still.“ Patanjali gibt in den Yoga Sutras (2.53) die Anweisung, dass „durch diese Übungen und Prozesse des Pranayama, welches die vierte der acht Stufen ist, der Geist die Ausdauer, Qualifikation oder Fähigkeit für wirkliche Konzentration erwirbt oder entwickelt.“ Der Fokus auf den Atem ist von klarer Wichtigkeit in der traditionellen Übungspraxis, aber wie können sich Atmung und Aufmerksamkeit auf der neurophysiologischen Ebene gegenseitig beeinflussen? Da könnte es die Möglichkeit geben, dass die beiden Systeme auf der neuralen Ebene an einem Punkt miteinander verschaltet sind, sodass der Informationstransfer zwischen den beiden Systemen in beide Richtungen erfolgen kann.
Gekoppelte Systeme kommen in der Biologie häufig vor. Autonom oszillierende Systeme können sich dann durch schwach interaktive Kräfte synchronisieren. Dieses Phänomen wurde erstmals von Huygens beschrieben, nachdem er während einer langen Seereise krank im Bett gelegen war und zwei Pendeluhren beobachtete, die an einem hölzernen Deckenbalken hingen. Er bemerkte die graduelle Synchronisierung der Pendel und entdeckte schließlich, dass sehr schwache Vibrationen zwischen den Uhren über den Balken, an denen sie befestigt waren, ausgetauscht wurde, was dazu führte, dass die Pendel sich langsam einem von zwei Zuständen annäherten, um dann permanent zu bleiben: entweder völlige Synchronizität oder Antisynchronizität (eine stabile Phasenbeziehung von 180°).
Wie sich zeigte, gibt es viele Beispiele dieses Typs in der Natur (z.B. Vogelschwärme, funkelnde Glühwürmchen, Schleimpilzverhalten), und die Synchronisierung spielt auch eine wichtige Rolle in neuralen und physiologischen Systemen. Neurale Systeme zeigen Phasen- und Frequenzsynchronisierung, sowohl zwischen größeren funktionalen Bereichen als auch zwischen einzelnen benachbarten Neuronen. Neurale Koppelung soll bei perzeptiver Anbindung, kortikaler Kommunikation und Koordination dienen und die Aufmerksamkeit beeinflussen. Die nichtlineare physiologische Koppelung zwischen Herz und Atmung wurde auch bei Menschen beobachtet. Dabei ist zu betonen, dass Synchronisierung im Kontext von dynamischen Systemen das Resultat von unabhängig oszillierenden Systemen darstellt, die interagieren und zu einer stabilen Interdynamik tendieren, ohne äußere Einflüsse.
Der Locus Coeruleus und das Denken
Bei den Säugetieren ist ein kleiner blauer beidseitiger Kern in der Brücke die Hauptquelle des kortikalen Noradrenalins und spielt aufgrund einer fast vollständigen und exklusiven Innervierung des Großhirns eine bedeutende Rolle bei der Regulation der Atemfunktion. Der LC kann locker als kortikale Analogie der Adrenalindrüsen verstanden werden, weil er die Erregung beeinflusst und hilft, kognitive Zustände für variierende Umwelt- und Willenserfordernisse zu optimieren.
Das Noradrenalin ist ein modulierender Botenstoff, der bei der Regulation von Schlaf-Wach-Zuständen, kortikaler Erregung, Signalerkennungsschwellen und Entscheidungsprozessen beteiligt ist. Der LC zeigt ein Verhaltenskontinuum, das von hoher tonischer Aktivität während Episoden der Zerstreuung zu fast vollständiger Ruhigstellung während des REM-Schlafes reicht.
Nachdem wir wissen, dass der LC bei der Aufmerksamkeit, Denkfähigkeit und Erregung beteiligt ist, sowie dass er für die Top-Down-Kontrolle empfänglich ist, zugleich eine chemosensitive Atemfunktion hat, und dass es einen von der Atmung herbeigeführten vagalen Einfluss auf die Aktivität des LC gibt, liegt die Hypothese nahe, dass der LC einen kritischen Knoten für die Kopplung zwischen Atmung und Aufmerksamkeit darstellt. Es ist wichtig festzustellen, dass diese Koppelung in beide Richtungen wirkt. Über die ACC-Aktivierung ist der LC vermutlich ein integraler Vermittler für die günstigen Wirkungen von atemzentrierten Übungen auf Erregung und Aufmerksamkeit. Die Bottom-Up-Einflüsse der Atmung auf den LC nutzen den LC als Bindeglied im Informationstransfer zwischen diesen beiden Systemen, die sich gegenseitig beeinflussen.
Wie erwähnt, zeigt das menschliche Aufmerksamkeitssystem regelmäßige Fluktuationen zwischen dem aufgabenzentrierten Netzwerk und dem DMN, das nicht aufgabenfokussierten und gedankenschweifenden Zuständen verbunden ist. Ähnlich zeigt die Atmung regelmäßige Oszillationen, die normalerweise hochgradig vom CO2-Spiegel im Hirnstamm abhängig sind. Mit atembezogenen Übungen nimmt die Atmung in der Frequenz ab, gleich wie die Frequenz des Gedankenschweifens, wenn die Fähigkeit gesteigert ist, in einem Zustand der Konzentration zu bleiben. Die Entkoppelung der Aufmerksamkeit ist durch eine verstärkte tonische Aktivität im LC und einem daraus folgenden Anwachsen von neuralem Gewinn und funktionaler Verbundenheit charakterisiert, was einen Wettbewerb um Aufmerksamkeitsressourcen erlaubt. Ausgehend von der Wirkungsgröße des Kohlendioxidspiegels auf die tonische LC-Aktivität ist es möglich, dass ateminduzierte LC-Fluktuationen ein Fenster für die Flexibilität der Aufmerksamkeit oder einen Erfrischungszyklus für ein einzelnes Aufmerksamkeitssystem bereitstellen könnte, das sich um geforderte Aufgaben, interne Hypothesenerzeugung und externe Zwangslagen kümmern muss, indem es flink zwischen diesen wechselt, so elegant und wirkungsvoll wie möglich.
Störungsquellen bei der LC-Aktivität wie schwankende Erregungszustände, Kohlendioxid-Sensibilität und verringerter vagaler Tonus werden durch die Meditationspraxis abgeschwächt. Diese Abschwächung könnte das Ausmaß der bewussten Anstrengung zur Aufrechterhaltung eines Aufmerksamkeitszustandes für eine Aufgabe reduzieren und damit auch die Wahrscheinlichkeit von unbeabsichtigten Aufmerksamkeitsschwankungen, die auf Fluktuationen des neuralen Gewinns und der funktionalen Verbundenheit zurückzuführen sind, verringern. Mittelmäßig erfahrene Meditierer zeigen eine gesteigerter Aktivierung der Aufmerksamkeitsbereiche im Vergleich zu Beginnern oder Nicht-Meditierern, während sehr fortgeschrittene Meditierer eine geringere Aktivität in diesen Bereichen zeigen, verglichen mit allen Gruppen. Interviews bestätigen, dass nach einer längerdauernden Übungspraxis nur wenig Anstrengung notwendig ist, um die Aufmerksamkeit in einem bewusst fokussierten Zustand aufrechtzuerhalten. Die Stabilisierung der Aufmerksamkeitszustände durch die Verringerung der und/oder Anpassung an die Atemeinflüsse auf die tonische Variabilität des LC bei Langzeit-Übenden könnte ein wichtiger Faktor sein.
Es ist wichtig zu betonen, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen Achtsamkeitsübungen, bei denen der Atem ohne den Versuch einer Kontrolle passiv beobachtet wird, und Pranayama-Übungen gibt, bei denen der Atem aktiv reguliert wird. Das einfache Beobachten des Atems ist eine extrem herausfordernde Wachsamkeitsaufgabe, und das Üben wird wahrscheinlich die Aufmerksamkeitsfunktionen verbessern und die tonische Aktivität des LC beeinflussen, indem das frontoparietale Aufmerksamkeitssystem einschließlich der Insula und des ACC gestärkt wird. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass in diesem Fall die Bottom-Up-Mechanismen der physiologischen Regulation der LC-Funktion maßgeblich beeinflusst werden. Pranayama und andere Übungsformen der Atemkontrolle könnten andererseits die Atemfrequenz verringern, Erregung modulieren, den vagalen Tonus verbessern und die Kohlendioxid-Sensibilität abschwächen, sodass die meisten Vorzüge von der Physiologie abgeleitet sind. Natürlich gibt es Überlappung zwischen den Wirkungen der beiden Ansätze. Die Klassifizierung von Atemmethoden auf diesem Weg könnte sich aber als nützlich erweisen, um die Übungen in therapeutischer Weise gezielt einzusetzen, und könnte zusätzlich beim Verstehen der besonderen Wirkungen verschiedener Atemmethoden helfen.
Forschungen zu den hier vorgestellten Hypothesen könnten zur Entwicklung von nicht-pharmakologischen therapeutischen Ansätzen bei Menschen führen, bei denen die Aufmerksamkeitsfunktionen gestört sind (wie bei ADHD, TBI und bei Gehirnstörungen älterer Menschen). Unterschiedliche Übungen könnten gezielt für spezifische Probleme eingesetzt werden, indem entweder physiologische Erregungszustände oder frontale Kontrollmechanismen angesteuert werden.

Quelle