Handbuch der Atemtherapie
Autor: Wilfried Ehrmann
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Ausführlicher Sach- und Personenindex und umfrangreiches Literaturverzeichnis
400 Seiten, gebunden
ISBN 3-88755-0505-1
Ahlerstedt: Param-Verlag 2004
Österreich € 39,10
Deutschland € 37,80
1. Der Atem – Das Herzstück dieses Buches
2. Der leibhafte Atem – Atem und Körper
2.1 Organische Grundlagen der Atmung
2.2 Physiologische Zusammenhänge in der integrativen Atemtherapie
2.3 Asthma
2.4 Tetanie
2.5 Zusammenfassung: Viel und wenig Atmen
3. Mit der Seele atmen – Atem und Psyche
3.1 Atem und Grundgefühle
3.2 Die Theorie der Gefühlsunterdrückung
3.3 Die Lösung der Gefühlsabwehr
3.4 Exkurs zum Thema Katharsis
3.5 Gefühlskörper und Empfindungskörper
4. Der Geist des Atems – Atem und Spiritualität
4.1 Was ist Geist?
4.2 Spiritualität in der Therapie
4.3 Die Sprache des Spirituellen
5. Atemschulen im Vergleich
5.1 Rebirthing
5.2 Vivation
5.3 Das holotrope Atmen
5.4 Der intuitive Atem nach Karl Scherer
5.5 Der erfahrbare Atem nach Ilse Middendorf
5.6 Pranayama als therapeutische Methode
5.7 Zusammenfassung: Den Atem kontrollieren oder zulassen
6. Wie der Atem die Seele heilt - Atemarbeit als Psychotherapie
6.1. Was ist Psychotherapie?
6.2. Zwei Zugänge der therapeutischen Behandlung
7. Der verbindende Atem – Einführung in die Integrative Atemtherapie
7.1. Integratives Atmen
7.2. Formen der integrativen Atemtherapie
7.2.1. Atemtherapie in Reinform
7.2.2. Komplementäre Atemtherapie
Überlegungen zur Kompatibilität
7.2.3. Atemarbeit als unterstützende Zusatzmethode
7.2.4. Latente Atemtherapie
8. Zyklus und Fluss – Die Atemsitzung
8.1 Der Einstieg in den Atemprozess
8.2 Atemmuster
8.3 Die Atemzonen und Atemorgane
8.4 Verbundenes Atmen und Atempausen
8.5 Sitzungstypen in der Atemarbeit
8.5.1 Die Entspannungs- und Öffnungssitzung
8.5.2 Die Aufladungssitzung
8.5.3 Die Erholungs- oder Rückzugssitzung
8.5.4 Die emotionale Sitzung
8.5.5 Die thematische Sitzung
8.5.6 Die meditative Sitzung
8.6 Therapeutische Charakteristika der Sitzungstypen
8.7 Strukturelemente der Atemarbeit und ihre Kombinationsmöglichkeiten
8.8 Der Ausklang der Atemsitzung
8.8.1 Der richtige Zeitpunkt der Beendung der Sitzung
8.8.2 Instruktionen
8.8.3 Das Abschlussgespräch
8.9 Sitzungszyklen
9. Atemarbeit in der Praxis – Interventionen, Techniken und Methoden
9.1 Das Modell der Komfortzone
9.2 Die geglückte Intervention
9.3 Berührungsqualitäten
9.4 Impuls- und Sensibilitätsorientierung
9.5 Körpertherapeutische Elemente in der Atemsitzung
9.6 Affirmationen
9.7 Musik in der Atemarbeit
9.8 Die Rolle der verbalen Ebene in der Atemarbeit
9.9 Interaktive Atemarbeit
10. Hineinatmen und Mitatmen – Zur Beziehungsdynamik in der Atemtherapie
10.1 Therapeutische Grundhaltungen in der Atemarbeit
10.2 Erforscher und Begleiter
10.3 Übertragung
10.4 Gegenübertragung und vegetative Resonanz
11. Atemtherapie: Der Weg für wen?
11.1 Voraussetzungen und Indikationen in der Atemtherapie
11.2 Das diagnostische Modell von Jim Morningstar
12. Gemeinsam atmen – Atemtherapie als Gruppentherapie
12.1. Einzeltherapie und Gruppenprozess im Vergleich
12.2. Gruppenpsychologische Elemente
12.3. Technische Aspekte der Gruppenatmens
12.4. Das Atmen im Atemkreis
13. Spezialformen der Atemarbeit
13.1 Augenkontaktatmen
13.2. Spiegelatmen
13.3. Warmwasseratmen
13.4. Kaltwasseratmen
13.5. Chakrenarbeit
14. Atemtherapie in der Verwandtschaft
14.1. Atemarbeit und Körperarbeit
14.2. Atemunterstützte Emotionalarbeit
14.3. Atemarbeit und Trancearbeit
14.4. Atemarbeit und Gesprächstherapie
14.5. Atemarbeit und Voice Dialogue
15. Der erste Atemzug – Atemarbeit und Geburtstrauma
15.1. Die Geburt
15.2. Die Bedeutung des Geburtstraumas
15.3. Geburtstypen und Geburtsphasen
15.4. Die Zeugungsmatrix
15.5. Das Plazenta-Trauma
16. Atem und Meditation
16.1. Meditative Atemübungen
16.2. Therapie und Meditation
16.3. Atembewusstsein im Alltag
16.4. Bewusstwerdung im Atem
Leseprobe aus dem 1. Kapitel
Die Universalität des Atems
Über den Atem verbinden wir uns als Menschen, als Lebewesen, als
Erdenbewohner. Wenn wir auf der Straße gehen oder im Wald – wir atmen
Luft ein, die vielleicht irgendwo in der Welt von einem anderen Menschen
ausgeatmet wurde, und die Luft, die wir ausatmen, wird in irgend einen
Teil der Welt verblasen und dort von jemandem eingeatmet und so weiter,
vom Anbeginn des Lebens bis in alle vorstellbare Zukunft. Die Atemluft
ist uns allen gemeinsam, in ihrem Medium bewegen wir uns, über sie
tauschen wir uns beständig aus. Die Atemluft gestalten wir mit, und sie
gestaltet uns. Wir sind die Luft, die wir atmen. Wir „vermenschlichen“
die Luft und nehmen im Atmen Teil an der Luft dieser Welt (mit all ihren
Gerüchen und Düften).
Der Atem verbindet uns mit einem Medium der Kommunikation, mit einem
Geflecht des universellen Austausches, in dem wir uns permanent
befinden, ob wir es wollen oder nicht. Der Atem ist auch ein Medium der
Geschichte, weil er uns die Luft der Erdgeschichte vermittelt. Der Atem
ist auch ein Medium der Demokratie und der Gleichheit, weil er allen in
gleicher Weise die Luft dieser Erde zur Verfügung stellt.
Therapie des Atems – Therapie durch den Atem
Mit dem Konzept des zum Substantiv erhobenen Atems unterscheidet
sich die Atemarbeit von anderen Therapieformen. Die Beobachtung und
Beeinflussung der Atmung spielt in vielen therapeutischen Richtungen
eine beachtete oder zumindest nebengeordnete Rolle. Doch Atemtherapie im
eigentlichen Sinn beginnt erst dort, wo der Atem als solcher erkannt
und anerkannt ist und wo ihm die Kraft des Veränderns, Lösens und
Heilens zugesprochen wird. Der Kern der Atemtherapie besteht darin, den
Atem zur Wirkung zu bringen, ihm einen Raum zu öffnen, in dem er seine
heilende Kraft entfalten kann. Die verschiedenen Richtungen und Schulen
der Atemtherapie unterscheiden sich nur darin, mit welchen Mitteln und
unter welchen Rahmenbedingungen dieser Raum geöffnet wird.
In der Therapie ist der Mensch der Raum des Atems. Es wird ihm ein
Weg gezeigt, wie er sich der Kraft, die in jedem Atemzug wirkt, bewusst
werden kann, sodass sie sich in ihm als Stütze und Hilfe, als Quelle von
Stärkung und Lebensfreude entfalten kann. Das erste Tor, das wir dabei
durchschreiten, führt uns dazu, dass wir uns bewusst werden, dass wir
atmen. Damit verbinden wir uns mit unserem Atem und über den Atem mit
uns selbst. Wenn wir uns im Atmen im Gestalten und Entfalten unseres
Selbst – im eigenschöpferischen Lebensvollzug – erfahren, wird uns auf
einer tiefen Ebene deutlich, wer wir sind. Diese Selbsterkenntnis ist
keine theoretische Reflexion, sondern ist von unmittelbarer Evidenz
geprägt und trägt das Siegel des unmittelbar Gewissen, des
Unwiderruflichen und Unbezweifelbaren. Auch wenn uns diese Gewissheit
wieder verlassen kann, wenn der Vollzug des Atems später wieder in unser
Unbewusste zurücksinken mag, bleibt das Tor geöffnet, und Spuren und
Fäden dieser Erfahrung zeigen uns, dass wir uns schon verwandelt und
erneuert haben – wie winzig diese Veränderung auch sein mag. Mit jedem
bewusst auf unser Selbst hin vollzogenen Atemzug errichten wir einen
Wegweiser in unser Inneres, der stehen bleibt und darauf wartet, dass
sich unser Blick wieder einmal aus Gewohnheiten und Alltagsgeschäften
befreit und auf ihn fällt.
Die unmittelbare Evidenz des Selbstvollzuges und der existentiellen
Selbstvergewisserung ist die vielleicht wichtigste und grundlegendste
Basis therapeutischen Arbeitens überhaupt und der Atemtherapie im
Besonderen. Ich atme, also bin ich – diese Gewissheit liegt unserem
Leben zugrunde und trägt es. Alles, was Sorgen bereitet, Angst macht,
verunsichert und zu zerfallen droht, liegt über dieser Gewissheit wie
eine Schutthalde. Doch mit jedem Atemzug habe ich die Chance, die
Ablagerungen zu durchdringen und die Einsicht zu gewinnen, dass tief in
mir das Leben strömt, gleich, was immer sich an der Oberfläche abspielt,
und dass alles, was das Leben sonst noch ausmacht, darauf beruht und
davon abgeleitet ist. Dum spiro spero – solange ich atme, hoffe ich:
Diese alte Weisheit und Ermutigung wird in der bewussten Atmung belebt
und inkorporiert. Alle Dramen des Lebens treten zurück, sobald der Atem
bewusst wird, sei es auch oft nur für ein paar Momente. In diesen
Momenten setze ich mich in Distanz zu dem, was ich nicht wirklich bin,
mache einen Unterschied, und den Dramen ist die Kraft genommen. Mögen
mich die neurotischen Gewohnheiten schnell auch wieder zu ihnen
zurückführen, kann ich doch ebenso schnell wieder in den Atem
zurücktauchen, indem ich ihm meine Bewusstheit schenke. Und so lerne ich
mit dem Atem, bewusste Einschnitte vorzunehmen, die mein Leben aus den
Schleifen des ewig Gleichen heraus holen und zu einem Prozess von
kreativen Veränderungen umgestalten.
„Nirgendwo können wir uns unserer Teilhabe am größeren Leben so
bewusst werden als am Atem. So gibt es keine »Übung« zum Weg ohne
Beachtung des Atems. Im Atem erfahren wir unmittelbar das Leben in
seiner Verwandlungsbewegung. Wenn es uns gelingt, uns des sich im Atem
bekundenden und auswirkenden Verwandlungsgesetzes inne zu werden, es in
seiner ganzen Bedeutung in uns aufzunehmen und uns ihm bewusst zu fügen,
sind wir schon auf dem »Weg«.“ (Dürckheim 1999, S. 144)
Erste Basistherapie
„Was zuerst gelehrt werden muss, ist der Atem.“ So spricht
Kung-fu-tse. Im modernen Gefüge der vielfältigen therapeutischen Wege
kann diese Weisheit noch immer Bedeutung tragen. Denn im Atem begegnen
wir am einfachsten und am natürlichsten uns selbst. Und was ist Therapie
anderes als Selbst-Begegnung? Atmend erleben wir uns unmittelbar als
Körper-Geist-Einheit. Was ist Therapie anderes als die Wiederherstellung
dieser Einheit? Atmend kommen wir in den Moment. Was ist Therapie
anderes, als die Bewusstheit im Hier und Jetzt wieder zu erlangen?
Darum kann sinnvoller Weise jeder therapeutische Weg beim Atem und
mit dem Atem beginnen. Auch wenn auf dem Weg der Selbsterforschung
andere Methoden ihre Wichtigkeit und ihren verdienten Platz haben und
ihre heilsamen Wirkungen entfalten sollen, wird der Atem immer mit dabei
sein. Er wird jede positive Veränderung mittragen, mitgestalten und
widerspiegeln, ob wir uns dessen – als Therapeuten oder als Klienten –
bewusst sind oder nicht.
Die Einfachheit des Atems
Der Atem ist eine ganz einfache Form der Selbst-Erfahrung und
Selbst-Einsicht. Jeder Mensch ist dazu in der Lage, in nahezu jedem
Lebensmoment. Das Bewusstsein auf den Atem zu lenken, heißt,
wahrzunehmen, dass der Einatem einströmt und der Ausatem ausströmt. Das
ist alles. Diese Einfachheit zu akzeptieren, sich ihr hinzugeben, hat
oft eine heilsamere Wirkung als das Verstehen eines komplizierten
Zusammenhangs, und es ist in manchem Leid tröstlich, zu ihr zurück zu
finden.
Natürlich ist es notwendig und wichtig, dass der therapeutische
Prozess in die komplexen Bereiche der verwirrten Gedanken und der
verstrickten Gefühle führt. Die Erforschung der Psyche muss auch auf die
bedeutungsträchtigen Details, Einzelheiten und Zusammenhänge Bedacht
nehmen und darf keine Scheu vor der Vielschichtigkeit und Vieldeutigkeit
des Seelenlebens haben. Mit dem Atem aber haben wir ein Mittel zur
beständigen Verfügung, das aus den verworrensten Denkschleifen und
Reflexionen, Erinnerungsbildern und Interpretationsfiguren zurück in den
Körper, zurück in den Moment, zurück in die Einfachheit des Daseins
führen kann.
Gerade diese Einsicht ist für viele Menschen therapeutisch relevant:
Dass das Leben auch einfach sein darf, dass das Leben auf einer Ebene
stimmig und gelungen sein darf, was auch immer sonst noch der Lösung im
täglichen Leben oder in der eigenen Geschichte harrt. Und diese Einsicht
ist so einfach über den Atem zu vollziehen, dass sie genau deshalb so
oft übersehen wird. Ein Aspekt des menschlichen Dramas (und der
menschlichen Komödie) mag also darin liegen, dass uns dieses Bewusstsein
von der Einfachheit, wie es uns der Atem zeigt, so leicht verloren geht
und dass wir uns so schwer tun, es wieder zu erinnern, indem wir es in
unser Leben holen und ihm dort einen beständigen und ehrenvollen Platz
zugestehen.
Die Atemsitzung
In der Atemsitzung als Kern der Atemtherapie wird der Atem, seine
Lebens- und Entwicklungskraft, in sein ursprüngliches Recht gesetzt.
Eine Atemsitzung bedeutet das Durchlaufen eines Atemzykluses unter
fachlicher Betreuung, in der Zeitdauer von einer Stunde oder länger,
gewidmet der vordringlichen Aufmerksamkeit auf den Atem. Wenn der Atem
seine Wirkung entfaltet, indem wir ganz bei ihm sind, verändert sich
unser inneres Gefüge und setzt sich neu zusammen, sodass wir nicht
derselbe oder dieselbe sein können, der oder die wir vorher waren.
Manchmal sehen wir das, wenn wir uns nachher in den Spiegel schauen,
manchmal sagen es uns andere Menschen, manchmal merken wir gar nichts –
und doch haben wir in dieser Erfahrung Neuland betreten und Bereiche in
uns fruchtbar gemacht, die bisher brach und unerkannt waren.
Die Atemerfahrung ist nie nur, wie es scheinen mag, ein
individueller Prozess, in den sich der Klient hineinbegibt wie in eine
innere Reise. Insbesondere in einer therapeutischen Atemsitzung wird
deutlich, dass die Atemerfahrung auch eine Beziehungserfahrung ist. Es
ist immer ein gemeinsames, geteiltes Atmen, eine Atemerfahrung mit zwei
Atmenden. Zwischen dem Erforscher und dem Begleiter besteht eine dichte
Interaktion vor allem im nonverbalen Bereich. Darüber hinaus verbindet
das bewusste Atmen mit „dem Atem der Welt“. Damit ist eine Erfahrung
gemeint, die auftritt, wenn sich der Atem aus seinen Begrenzungen
befreit hat und in einen Rhythmus eintaucht, der nicht mehr individuell
geprägt ist, sondern geradezu mit allem mitschwingt, was in natürlicher
Weise im Kosmos schwingt. Das Pulsieren des Lebendigen hebt hinaus aus
der Enge des eigenen Daseins und zeigt, wie alles mit allem verbunden
sein kann. Die Teilhabe am atmenden Weltgeflecht ist das große Geschenk
des Atems an jeden Menschen, der sich seiner Erforschung widmet.
Atemtherapie im therapeutischen Kontext
Um den Kern der Erschließung des Atems herum haben sich verschiedene
Atemschulen entwickelt, die gewissermaßen über unterschiedliche Wege
und Tore zum Geheimnis des Atem gefunden haben. Sie bieten
unterschiedliches Rüstzeug an, um diese Kraft zur psychischen Heilung zu
erschließen. Ihnen gemeinsam ist, wie oben gesagt, dieses „Paradigma
des substantivierten Atems“, die Annahme, dass sich der Atmende im Atmen
zum Atem hin überschreiten kann, um den Atem als eigenmächtige Kraft
zur Entfaltung und Wirkung zu bringen.
Der Atem ist nur im individuellen Tun, über das Vollziehen der
Atmung, erfahrbar, ist etwas, das sich öffnet, wenn der Atmende sich
seiner Atemtätigkeit bewusst wird, und er öffnet sich dabei als etwas,
das schon immer wirkend präsent war. Das bewusste Tun erschließt die
Wirklichkeit und Wirkmächtigkeit dieser Kraft für den Tuenden. Dann
steigert sich die wandelnde Kraft des Atems und löst Klärungs- und
Veränderungsprozesse aus, die alle Ebenen des Selbst erfassen können.
Der Atem wirkt also therapeutisch, wenn er mit dem bewussten Erleben
verbunden wird. Das ist der Kern, der Atemtherapie von allen anderen
Therapierichtungen unterscheidet, die möglicherweise auch auf das Atmen
achten und sich der Beeinflussung der Atmung für therapeutische Zwecke
bedienen, die aber nicht der Eigenwirkung des Atems vertrauen.
Wird also in verschiedenen Therapierichtungen die Atmung eingesetzt,
um damit bestimmte Resultate zu erzielen (Lösung von Blockaden,
Ausdruck von Gefühlen, Vertiefung von Erfahrungen und Einsichten etc.),
so liegt das Ziel in den Schulen der Atemtherapie darin, den Atem selbst
freizulegen. Ist im einen Fall der Atem das Mittel für einen weiteren
Zweck, so gilt der Fokus der Arbeit in der Atemtherapie vor allem
anderen dem Atem als solchem, weil von seiner Wirkmächtigkeit die
entscheidenden therapeutischen Effekte erwartet werden.
Andere Therapieschulen tun sich schwer, den Atem und seine Wirkkraft
von ihren Grundannahmen her zu verstehen. In einem strikt
naturwissenschaftlichen Weltmodell, das z.B. der Verhaltenstherapie zu
Grund liegt, ergibt der substantivierte Begriff des Atems keinen Sinn.
Aber auch in den hermeneutisch verstehenden Ansätzen der Psychotherapie
(Holm-Hadulla 1997) fehlt das Beschreibungsinstrumentarium für etwas,
das einerseits erlebbar und als solches verstehbar ist, mit dem sich
aber andererseits etwas Umgreifendes vollzieht, das sich dem Erleben
entzieht und es gleichzeitig erst möglich macht. Ein hermeutisches
Vorgehen würde gewissermaßen am Atmen entlang erforschen, ohne das
umfassende und tiefgehende Erleben des Atems je in den Blick zu
bekommen.
Das hat auch damit zu tun, dass der Atem von seinem Wesen her
zwischen Körper und Seele schwingt. Er kann nicht anders, als andauernd
zwischen bewusster Aktivität („Ich atme“) und unbewusstem Lebensvollzug
(„Atem geschieht“, „Es atmet mich“) zu oszillieren. Man könnte geneigt
sein, zwischen dem körperlich ablaufenden Vorgang des Atmens und dem zu
unterscheiden, was man beim Atmen erlebt und was sich im Erleben
verändert, wenn sich der Atemfluss verändert. Es würde ja genügen,
diesen Zusammenhang zu verstehen und weiter zu forschen, was sich an
diesem Erleben verstehen lässt. Aber gerade das Schwingen zwischen dem
Erleben des Atems und dem Erleben der Wirkungen des Atems, die Schaukel
von Kontrolle und Hingabe, der Tanz von Willen und Geschehenlassen macht
das spezifische Heilpotential der Atemtherapie aus.
Kohärentes Atmen - Atmung und Herz im Gleichklang
Autor: Wilfried Ehrmann
Kapitel 1 – Unsere Gesundheit in die Hand nehmen
Kapitel 2 – Die Polyvagaltheorie
Kapitel 3 – Was ist Kohärenz?
Kapitel 4 – Die Atem-Herzkohärenz
Kapitel 5 – Das kohärente Atmen
Kapitel 6 – Das Üben des kohärenten Atmens
Kapitel 7 – Andere Atemschulen im Überblick
Kapitel 8 – Weniger Atmen: Die Erkenntnisse der Buteyko-Atemmethode
Kapitel 9 – Die Adrenalin-Atmung nach Wim Hof
Kapitel 10 – Integratives Atmen und integrative Atemtherapie
Kapitel 11 – Atemkohärenz und Psychotherapie
Kapitel 12 – Anwendungsbereiche: Coaching, Sport, Atmen mit Kindern
Apps zum Üben des kohärenten Atmens: Empfehlenswert sind Atem-Apps, bei denen
die Längen von Ein- und Ausatmung auf Zehntelsekunden eingestellt werden
können. Atempausen sollten keine fixiert werden.
Android: "Paced Breathing"
IPhone: "Kardia"
Empfehlung für die Messung der Herzschlagvariabilität: Polar RS800 mit Brustgurt (gibt es gebraucht).
Die Daten können in der Polar-Software ausgelesen werden und dann im Freeware-Programm Kubios genauer analysiert werden.