Kindheitstraumen – Nachweis im Blut

Körper und Seele sind eine untrennbare Einheit. Wir erleben diesen Zusammenhang in jedem bewussten Atemzug und in unseren tagtäglichen Lebensvollzügen. Er ist auch längst Teil vieler wissenschaftlicher Forschungen. Auf der einen Seite gibt es die vielfältigsten Untersuchungen von Einflüssen körperlicher Vorgänge (z.B. hormonelle Abläufe) auf das seelische Erleben. Auf der anderen Seite wissen wir immer mehr über die Auswirkungen von emotionalen Erfahrungen auf den Körper.
Wilhelm Reich, der einflussreiche Schüler Sigmund Freuds hat seine therapeutische Arbeit auf der folgenden Grundlage aufgebaut: Schädigungen der Seele durch frühkindliche Verletzungen, Vernachlässigung und Traumatisierungen hinterlassen Spuren im Körper, die ein Leben lang nachwirken, wenn sie nicht aufgearbeitet und geheilt werden. Jede Verspannung im Körper, jede Panzerung, deren Aufrechterhaltung dem Körper viel Energie kostet und zugleich dauerhaft die Lebendigkeit reduziert, hat ihre Wurzeln in belastenden Früherfahrungen. Werden die Spannungen durch konzentrierte Aufmerksamkeit, Übungen und therapeutische Interventionen gelöst, so werden auch die seelischen Probleme erleichtert und geheilt.
Frühe Stressbelastung
Der Stress, der viele Erwachsene plagt, ist oft durch frühe Kindheitstraumatisierungen grundgelegt. Das Nervensystem gerät durch überfordernde Erfahrungen in ein Ungleichgewicht, das in Folge der fehlenden Möglichkeit zur Integration nicht wieder ausgeglichen werden kann und die Dauerbelastung aufrechterhält, scheinbar als Schutz vor weiteren Traumatisierungen.
Die Betroffenen leiden später nicht nur an psychischen Störungen, sondern haben auch eine stärkere Neigung zu körperlichen Krankheiten. Denn dauerhafter oder extremer Stress führt im Körper zur Steigerung der Bildung von freien Radikalverbindungen, die Form von oxidativem Stress Schädigungen in den Zellen bewirken. Außerdem gibt es Hinweise, dass sich der Energie- und der Phospholipid-Stoffwechsel verändern, was in der Folge zum häufigeren Auftreten chronischer niederschwelliger Entzündungsprozesse führen kann, die für viele Autoimmunkrankheiten typisch sind.
Ein weiterer Nachweis der Somatisierung, also der Verkörperlichung der Folgen von Übergriffen und emotionalen Verletzungen lieferten kürzlich Forscher der Universität Ulm. Sie konnten berichten, dass die Spuren der frühen Misshandlungen oder Vernachlässigungen im Blut nachgewiesen werden können. Es handelt sich dabei um spezifische Stoffwechselprodukte im Blut, die wie ein biochemischer Fingerabdruck auf belastende Kindheitserfahrungen hinweisen. Der Nachweis dieser Stoffe gab in neun von zehn Fällen über weit zurückliegende Kindheitstraumen Auskunft.
Einer der Forscher, Dr. Alexander Karabatsiakis, sagte: „Wenn Kinder sexuell missbraucht oder emotional misshandelt, wenn sie geschlagen oder vernachlässigt werden, führt dies zu chronischen Stressbelastungen. Diese können in späteren Jahren nicht nur psychische Erkrankungen hervorrufen, sondern sind auch für den Körper sehr belastend. Denn sie erhöhen das Risiko für weitere Krankheiten wie Herzkreislauferkrankungen und Diabetes, insbesondere wenn nicht versucht wird, durch einen besonders gesunden Lebensstil entgegenzuwirken.“
Die Ulmer Wissenschaftler haben nun in Zusammenarbeit mit australischen Krebsforschern und Biotechnologen untersucht, ob sich bestimmte Stoffwechselprodukte identifizieren lassen, die als biochemischer Fingerabdruck einen Hinweis auf solche aversiven, also mit Abneigung behafteten Kindheitserfahrungen geben könnten, und zwar bei Erwachsenen, die eigentlich körperlich gesund sind.

Bluttest zum Nachweis von Kindheitstraumata?

Für ihre Studie haben die Wissenschaftler das Blutserum von 105 jungen Müttern untersucht, darunter waren 59 Frauen mit und 46 ohne aversive Kindheitserfahrungen. Dabei stieß das Forscherteam im Blutserum auf acht spezielle Stoffwechselprodukte (Metabolite), deren Spiegel sich bei beiden Gruppen deutlich unterschied. Diese Metabolite stehen in Verbindung mit dem zellulären Energiestoffwechsel sowie mit entzündlichen Prozessen und oxidativem Stress. Darunter waren so genannte Phospholipide sowie Substanzen aus der Endocannabinoid-Familie oder auch Abbauprodukte des Hämoglobins, einem sehr potenten körpereigenen Antioxidanz.
Diese Biomarker machen es nun möglich, mit hoher Genauigkeit festzustellen, ob jemand als Kind misshandelt, missbraucht oder vernachlässigt wurde. „Mithilfe des biomolekularen Fingerabdruckes, den wir gefunden haben, lassen sich in Zukunft möglicherweise weitere pathophysiologische Prozesse aufdecken, die für die langfristige Entstehung stressbedingter Erkrankungen verantwortlich sind“, so die Mitarbeiterin des Projekts, Alexandra König.

Für die betroffenen Frauen heiße dies, dass sie ein erhöhtes Risiko haben, irgendwann einmal im Leben psychisch zu erkranken, auch wenn sie momentan gesund sind. Umso wichtiger für die Betroffenen ist es, hier rechtzeitig therapeutische Hilfe zu suchen. Einen günstigen Effekt haben zusätzlich auch ein gesunder Lebensstil mit viel Bewegung und eine ausgewogene und vollwertige Ernährung. Außerdem helfen regelmäßige Entspannung, wie z.B. durch Atemübungen, und ein stützender Freundeskreis.
Zur Quelle.